Verpatzte Generalprobe – gelungenes Konzert!

Es ist wohl ein Naturgesetz: je schlechter die Generalprobe, desto besser das Konzert. Mein Chor "Tonikum" hat das an diesem Wochenende wieder mal eindrücklich bewiesen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit "wieder mal" meine ich nicht diesen Chor im besonderen!

Aber wie kommt dieses Phänomen zustande? Ein Erklärungsversuch ...

Im Prinzip ist es doch recht einfach, der Chor hat sich gut vorbereitet, die letzten Proben waren alle gut besucht, das Probenwochenende hat gezeigt: "Wir können es", und dann: Die ungewohnte Umgebung, die Bühne, die so ganz anders klingt als der Proberaum, die Nervosität, weil der Auftritt nur noch einen Tag (oder ein paar Stunden) entfernt ist. Erstmals wird auch versucht, den Ablauf des Konzerts in allen Details abzubilden, Moderationen werden eingeflochten, zusätzlich Aktionen eingebaut, Umbauten und Umstellungen vorgenommen. Ist das Konzert (wie in diesem Fall) am Samstag und die Generalprobe findet freitags statt, haben viele Mitwirkende auch bereits einen anstrengenden Arbeitstag in den Knochen. Und dann passiert das, was unweigerlich passieren muss: Ein Stück, welches in der letzten Probe noch problemlos durchgelaufen ist, gerät zum Fiasko, der Chor macht alles falsch, was er irgendwann schon mal falsch gemacht hat und erfindet sogar völlig neue Fehler.

Jetzt ist guter Rat teuer, wie bringe ich meinem aufgescheuchten Hühnerhaufen bei, dass das alles gar nicht schlimm, sondern völlig normal ist und sie sich deswegen keine Gedanken machen müssen? Allen, die jetzt auf ein Patentrezept hoffen, muss ich leider mitteilen: Das gibt es nicht! Vielmehr ist es hilfreich, seinen jeweiligen Chor gut zu kennen und zu fühlen, welche Ansprache jetzt hilft. Im Fall "Tonikum" hatte ich jetzt gewisse Vorteile, immerhin halten wir es schon 18 Jahre miteinander aus. Der Hinweis, dass unsere Zuschauer in der Regel deswegen kommen, weil sie sich einen schönen Abend erhoffen und eher selten für das Feuilleton der FAZ schreiben, war schon mal nicht schlecht. Dann folgt so etwas wie "Es macht auch mehr Spaß in fröhliche Gesichter, als in die Augen verhuscht wirkender gebückter Gestalten zu schauen, die bei einer kleinen Dissonanz gleich die Flucht ergreifen." Das hat dann auch meine Sopranistin mit dem Ruhepuls von 290 (gemessen 2 Minuten vor dem Konzert) überzeugt.

Eines sollte man nicht vergessen: Das Naturgesetz gilt nur, wenn man das Konzertprogramm wirklich beherrscht. Es wäre fatal zu glauben, dass man sich eine gründliche Vorbereitung schenken kann, die Generalprobe muss ja sowieso daneben gehen...

Vielen Dank an meinen Chor, der mir soweit vertraut, dass er sich nach dieser Generalprobe doch noch dazu entschlossen hat, mit mir auf die Bühne zu gehen, ihr habt ja gesehen: Es hat sich gelohnt!

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